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25.05.2001 BRD

BRD: Die Diskussion um embryonale Stammzellen, Präimplantationsdiagnostik, Menschenwürde und Nationalen Ethikrat ist voll entbrannt

Der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat am 20. Dezember 2000 mit seinem Beitrag zur Gentechnik in der Wochenzeitung "Die Woche" eine Diskussion ausgelöst, deren Ziel wohl darin besteht, bisher unantastbare Werte zugunsten von wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen auszuhöhlen. Erkennbar ist dies besonders in folgendem Zitat:

"Eine Politik ideologischer Scheuklappen und grundsätzlicher Verbote wäre nicht nur unrealistisch. Sie wäre auch unverantwortlich. Eine Selbstbescheidung Deutschlands auf Lizenzfertigungen und Anwenderlösungen würde im Zeitalter von Binnenmarkt und Internet nur dazu führen, dass wir das importieren, was bei uns verboten, aber in unseren Nachbarländern erlaubt ist. Wir würden so nicht nur den Anschluss an eine Spitzen- und Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts verlieren. Sondern wir würden uns vor allem der Möglichkeit begeben, über die Anwendungen und Folgen dieser Techniken kompetent mitzubestimmen."

Diese Aussage konkretisiert hat der neue Kultusminister der BRD, der Philosoph Julian Nida-Rümelin, als er wenige Tage vor seiner Amtseinsetzung im Berliner "Tagesspiegel" klipp und klar erklärte, dass das Klonen eines Embryos die Menschenwürde nicht beschädige.

"Die Kritiker stützen sich vor allem auf ein Argument: Das Klonen menschlicher Embryonen sei mit der Menschenwürde unvereinbar. Auch Embryonen seien schon menschliche Wesen und stehen daher unter einem besonderen Schutz. Richtig an diesem Argument ist, dass jedes einzelne Embryo die vollständige genetische Ausstattung eines menschlichen Individuums hat und dass es unter günstigen Bedingungen zu einem menschlichen Individuum heranwachsen würde. Liegt es daher nicht auf der Hand, dass das Klonen eines Embryos die Menschenwürde beschädigt? Die Antwort ist für mich: zweifellos nein." 

Julian Nida-Rümelin reduziert Menschenwürde auf Selbstachtung. Da Embryonen aber noch nicht zur Selbstachtung fähig seien, komme ihnen auch keine Menschenwürde zu.

"Die Achtung der Menschenwürde ist dort angebracht, wo die Voraussetzungen erfüllt sind, dass ein menschliches Wesen entwürdigt werde, ihm seine Selbstachtung genommen werden kann. Daher lässt sich das Kriterium der Menschenwürde nicht auf Embryonen ausweiten. Die Selbstachtung eines menschlichen Embryos lässt sich nicht beschädigen."

Zwar wendet sich der Philosoph in seinem Artikel ganz klar gegen das "reproduktive" Klonen und hält auch den Beschluss der Briten für die Zulassung des "therapeutischen" Klonens für falsch, wenn sich diese Entscheidung "als erster Schritt zum Menschenklonen herausstellen sollte", doch hat er den Begriff der "Menschenwürde", der immerhin im Art. 1 des deutschen Grundgesetzes verankert ist, umgeformt und ihn um seinen Gehalt gebracht. Aufhorchen lässt auch eine Nebenbemerkung in jenem Artikel:

"Auf die Möglichkeit des Klonens menschlicher Individuen, das heißt auf die Möglichkeit ein genetisch (fast) gleiches Individuum zu schaffen, sind die etablierten Normen und Werte jedoch nicht vorbereitet."

Wir sind also in der Vorbereitungsphase! Was jetzt aufgrund gesellschaftlich etablierter Normen und Werte noch nicht machbar ist, soll aufgrund hochrangiger Ziele der Forschung und zukünftiger allfälliger Therapiemöglichkeiten möglich gemacht werden. Das Knowhow für diese Vorbereitungsphase liefern die Philosophen (z.B. auch Bettina Schöne-Seifert) zusammen mit Exponenten der medizinischen Forschung, die nun einen ansehnlichen Anteil des von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingesetzten Nationalen Ethikrates des Kanzleramtes ausmachen. Unterdessen hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) diesbezüglich ein klares Zeichen gesetzt, indem sie eine Empfehlung abgab, welche den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen befürwortete. Zudem schlug sie die Zulassung von Embryonenforschung an "überzähligen Embryonen" vor, die es nach dem Embryonenschutzgesetz gar nicht geben sollte. Wer den Hintergrundbericht der DFG liest, wird unschwer feststellen, dass die massgebenden Personen, die in dieser Institution das Sagen haben, auch mit anderen verbotenen Früchten liebäugeln, besonders mit dem "therapeutischen" Klonen. Zurecht wurde kritisiert, dass die Katholische und die Evangelische Kirche je einen Vertreter in den Ethikrat des Kanzlers abgesandt haben. Es wäre naiv zu glauben, der Ethikrat werde dem Status Quo dienen. In ihnen sind zu viele Propheten vertreten, welche den wirtschaftlichen und wissenschafltichen Interessen den Weg bereiten wollen - Menschenwürde hin oder her. 

Gerade angesichts der Unentschlossenheit in den Reihen der CDU und CSUbezüglich der bioethischen Fragen, (von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen), wäre es ein klares Zeichen gewesen, wenn die Kirche dieses politische Ränkespiel nicht mitgemacht hätte. Schade, denn das Dokument "Der Mensch, sein eigener Schöpfer?" der Deutschen Bischofskonferenz war ein wertvoller Beitrag zur Stützung vieler anscheinend orientierungsloser Politiker. In jenem Dokument hat sie gemäss dem Lehramt der Kirche dem "therapeutischen" Klonen, der Embryonenforschung und der Präimplantationsdiagnostik eine klare Absage erteilt. Glücklicherweise hat sich nun auch der Bundespräsident Johannes Rau am 18. Mai mit einer Rede eingeschaltet, an der auch der Bundeskanzler nicht vorbeikommt (vgl. Die Tagespost). Prinzipiell begrüsst der Bundespräsident den Fortschritt der Wissenschaft, zieht aber eine klare Grenze, wenn er sagt:

"Fortschritt nach menschlichem Maß kennt seinen Wert und weiß um seine Werte. Das Gegenteil von unbegrenztem Fortschritt ist nicht Stillstand oder Rückschritt. Wer gegen einen Fortschritt um jeden Preis plädiert, der ist kein Gegner des Fortschritts. ..."

"... Nichts darf über die Würde des einzelnen Menschen gestellt werden. Sein Recht auf Freiheit, auf Selbstbestimmung und auf Achtung seiner Würde darf keinem Zweck geopfert werden. Eine Ethik, die auf diesen Grundsätzen beruht, gibt es freilich nicht umsonst. Es hat einen Preis, wenn wir nach ethischen Grundsätzen handeln. ..."

"... Ich wiederhole: Ökonomische Interessen sind legitim und wichtig. Sie können aber nicht gegen die Menschenwürde und den Schutz des Lebens aufgewogen werden. Wer den Schutz des Lebens an seinem Beginn aufgibt, der wird das bald auch für das Ende des Lebens geltend machen können. Dann wird vielleicht gefragt: Können wir uns den hohen Pflegeaufwand am Ende des Lebens leisten? Wäre es nicht ökonomisch vernünftiger, Alte und Kranke willigten rechtzeitig in die Sterbehilfe ein?"

In diesem Zusammenhang soll kurz die Menschenwürde beschrieben werden, wie sie im christlichen Sinn verstanden wird. Sie beruht auf der Ebenbildlichkeit des Menschen und seiner Berufung zu Gott. Diese Menschenwürde kann aber auch philosophisch aufgrund der Vernünftigkeit der menschlichen Natur und des freien Willens des Menschen erkannt werden. Unabhängig vom jeweiligen Entwicklungsstadium ist es uns aus der Sicht der Theologie aufgrund des mögliche Zieles der Anschauung Gottes verboten, Handlungen vorzunehmen, die das Erreichen jenes letzten Zieles verunmöglichen könnten. Dieses Ziel haben wir alle vor uns, ob als 0.1 mm grosser Embryo, als Kind, als Erwachsener oder als leidender Mensch vor dem Tod. Bedenken wir auch, dass sich mit Jesus Christus die göttliche Natur mit der menschlichen Natur verbunden hat, um die Menschheit zu erlösen. Aus diesen Gründen kommt jedem Menschen eine inhärente Menschenwürde zu, unabhängig davon, ob er glaubt oder nicht, ob er der Selbstachtung fähig ist oder nicht, ob er als Embryo sich hin zu einem erwachsenen Menschen entwickelt oder ob er im Sterben liegt.

Es ist absehbar, dass die Diskussion von der BRD auch in die Schweiz hinübergreift. Spätestens dann, wenn der Bundesrat die Mitglieder der Nationalen Ethikkommission für den Humanbereich bekannt gibt, wird auch in der Schweiz die nächste Diskussionsrunde eingeläutet.

Externe Links

Links rund um die Debatte in Deutschland: Die Rede des Bundespräsidenten, DFG-Stellungnahme etc.

Bundeskanzler Gerhard Schröder, Beitrag zur Gentechnik in "Die Woche" vom 20. Dezember 2000.

Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, Bioethik:  Wo die Menschenwürde beginnt. Berliner "Tagesspiegel" vom 3. Jan. 2001.

Bettina Schöne-Seifert, Haben frühe Embryonen einen unbedingten Anspruch auf Lebensschutz? Berliner Tagesspiegel vom 3. Feb. 2001.

Deutsche Bischofskonferenz, Der Mensch, sein eigener Schöpfer? Stellungnahme zu Fragen der Biomedizin vom 8. März 2001.

Die Empfehlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 3. Mai 2001 (DFG)

Bundespräsident Johannes Rau, Rede vom 18. Mai 2001 im Wortlaut.

Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog, Ich warne vor absoluten Verboten. Die Welt vom 28. Mai 2001.

CDU: Positionspapier "Werte Achten, Chancen nützen. Für einen verantwortlichen Fortschritt der Bio-und Gentechnik." 28. Mai 2001.

Immer lesenswert und auf dem Laufenden: Die Tagespost

Übersichtsartikel zur Debatte in der NZZ (bis 22. Juni Online):

Güntner Joachim, Ethikspezialisten: Nachrichten von der deutschen Biotechnologie-Debatte. NZZ 23. Mai (2001) 68.

Dreesmann Daniel, Medizinischer Nutzen und ethische Bedenken: Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. NZZ 23. Mai (2001) 81.

slz, Debatte um die Stammzellforschung in Deutschland: Empfehlungen in einem ethisch und politisch heiklen Gebiet: NZZ 23. Mai (2001) 7.